William B. TILTON · ca. 1870

Das Gitarrengeschäft war schon immer durch Konkurrenzen geprägt, und die Hersteller ersannen bis heute mehr oder weniger nachhaltige Verbesserungen und Patente, um bei der Kundschaft zu punkten. In meiner Sammlung gibt es dazu verschiedene Beispiele vom Tüftler (z.B. Otto Paret) bis zum Großhersteller (z.B. Gibson mit der MARK-Serie) aus unterschiedlichen Epochen. – Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in und um New York ein regelrechter Krieg darum, wer die beste Gitarre baute. W.B. Tilton mischte mit seinen Patenten und aggressiven Verkaufsstrategien ganz vorne mit und scheint damit zumindest zeitweise auch erfolgreich gewesen zu sein. Er gab bald die eigene Fertigung auf und verkaufte seine Patente. Die vorliegende Gitarre wurde von F. Zogbaum & R. Fairchild hergestellt und weist eben diese patentierten Features auf (die sehr gut und ausführlich in dem Buch von Ph.F.Gura: C.F.Martin & His Guitars 1796-1873 dargestellt sind): Die Verlängerung des Halses mittels eines Stabs längs durch den Korpus (wie beim Banjo) zur statischen Entlastung der Decke (später weiter entwickelt z.B. bei der >>Prairie-State, sowie die unterständige Saitenbefestigung der Saiten mittels eines Tailpiece, das bis zum Steg reicht, der selbst betont klein und leicht ausfällt. Dadurch sollte ebenfalls die Decke entlastet und in ihrer Resonanzfähigkeit verstärkt werden. Sie konnte so recht dünn und nur sparsam verbalkt gehalten werden. – Soweit die einleuchtende Theorie, die offenbar auch Manchen praktisch überzeugte. Viele Gitarren (auch welche von C.F.Martin) wurden damals umgerüstet. Durchgesetzt hat sich diese Bauweise jedenfalls nicht. Es hat wohl auch statische Probleme gegeben, weil die Decken einsanken (wie 60 Jahre später bei den GIBSON L-2 mit Tailpiece!). Die unterständige Saitenbefestigung hat sich später nur bei den Jazz-Gitarren/Archtops durchgesetzt. – C.F.MARTIN selbst schien von der Konkurrenz wenig beeindruckt und blieb bei seiner Bauweise, die er stetig verfeinerte, und die letztlich nachhaltig Geschichte geschrieben hat.

Interessant ist die zierliche alte (Tante) Tilton trotzdem, zumal sie nicht nur die beschriebenen Spezifikationen aufweist (auf die mit unübersehbar großen, versilberten Plaketten hingewiesen wird), sondern auch noch eine diagonale Holzstruktur der (Fichten-) Decke; dazu habe ich in der Literatur noch gar nichts gefunden (außer ähnliche Fotos). Das ist schon ziemlich ungewöhnlich! – Nebenbei weist diese Gitarre sehr hübsche Holz-Einlagen und Mechaniken auf, attraktives Rio-Palisander und eine sehr gute Verarbeitung; das war alles andere als ein billiges Stück! Sie befindet sich in sehr schönem, kompletten Originalzustand (samt „coffin-case“); allerdings braucht sie ein paar Reparaturen (ich habe sie „as is“ gekauft; lieber so als schlecht repariert!).