GIBSON Nick-Lucas-Special
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1926
Anlässlich eines Besuchs bei Freunden in Seattle/WA (USA) 1993 durchforstete ich die Gitarrenhändler vor Ort und stieß dabei auf diese für mich sehr merkwürdig wirkende alte Gibson, deren Spezifikation mir damals noch gar nichts sagte. Doch irgendwie fand ich Gefallen an der "kleinen Dicken", die nicht mal teuer war, und nahm sie als ´Souvenir` mit. Erst später begann ich über diese Gitarre nachzuforschen und fand Bemerkenswertes: Die Baureihe ´Nick-Lucas-Special` geht auf den damals berühmten Gitarristen Nick Lucas zurück, der in den späten 20-ger Jahren in den USA einer der ersten Stars im neuen Medium Radio war. Er bestellte sich ein voluminöser klingendes Instrument bei Gibson und wirkte dann auch bei dessen Entwicklung mit. Ab 1928 wird die "Nick-Lucas-Special" als Spitzenmodell der Gibson Flattops im Katalog aufgeführt, mit zunächst $125,- sogar teurer als die hochwertigere Martin 0-42! Man hoffte wohl auf die Werbewirkung des berühmten Namengebers. Doch dieser Preis ließ sich nicht halten und wurde 1934 auf $ 90,- gesenkt. Neben aufwendigen Inlays (Kopf, Griffbrett, Schalloch) zeichnet sich diese Gitarre vor allem durch wesentlich tiefere Zargen als bei der L-Serie aus. Dadurch wurde das Korpusvolumen vergrößert und das Resonanzverhalten vor allem im Bassbreich verstärkt. Bis 1941 blieb die Nick-Lucas-Special, vielfältig modifiziert wie bei Gibson üblich, im Programm. Wie viele davon gebaut worden sind, ist unbekannt; von 1936 bis Produktions-Ende waren es gerade mal 57 Stück. Das Besondere an meinem Exemplar ist das durch die Serien-Nummer ausgewiesene Baujahr 1926. Damals hatte man bei Gibson gerade erst mit dem Bau von Flattop-Gitarren begonnen. Die Steelstring-Bauweise kam in Mode, und mit Stahlsaiten hatte man bei Gibson durch die Archtops schon viel Erfahrung, vgl. Gibson L-5. Mit den berühmten Archtop-Mandolinen und -Gitarren war bereits Geschichte geschrieben worden. Bei den Flattops befand Gibson sich 1926 also noch auf Neuland, und die Zusammenarbeit mit Nick Lucas sollte erst in Gang kommen.
Offiziell kam die Nick-Lucas-Special erst 1928 ins Programm. Somit könnte meine Gitarre ein Vor-Serien-Exemplar sein, oder das 1926 nummerierte Label wurde erst zwei Jahre später verwendet. Bei Gibson ist fast alles möglich, und es wurde laufend herum experimentiert. Das konnten die jährlichen Kataloge gar nicht komplett wiedergeben! – Die Korpusform dieser frühen Nick-Lucas-Special folgt der älteren, kleinen Gibson-Archtop L-3, die ebenso für die erste Flattop L-1 als Vorlage diente und bereits im Kleinen die Proportionen der späteren Super-Jumbo 200 vorweg nimmt. Die Zargentiefe der Nick-Lucas-Special ist sogar mit der identisch. Die Decke ist aus feinster Adirondack-Fichte, der Korpus mit den tiefen Zargen aus Mahagoni. Später wurde auch Palisander oder Ahorn dafür genommen. Außerdem wurde wie bei der L-2 mit einer unterständigen Saitenhalterung entsprechend den Archtops experimentiert. Die Decke dieses frühen Nick-Lucas-Special ist A-förmig verbalkt (später kam das X) und trägt noch kein Schlagbrett. An den Spielspuren ist leicht erkennbar, warum das Schlagbrett bald zur Standard-Ausrüstung aller Steelstrings gehören sollte: Die Plektrum-Spieltechnik setzte den Decken oft stark zu! Der Hals dieses frühen Exemplars ist am 12. Bund angesetzt, bei späteren Modellen am 13. und dann am 14. Bund. Die Brücke ist sehr ungewöhnlich, nämlich zweiteilig: auf eine flache ´Belly-Bridge` ist eine rechteckiger Steg geleimt, der die Stegeinlage und sieben Pins (6 + 1!) aufnimmt. Den Sinn für den siebten, kleineren Pin konnte mir noch niemand erklären. Ich wollte zunächst kaum glauben, das diese Ausführung original sein sollte! Doch, wie ich später erfuhr, waren das gängige (wenn auch nicht durchgängige) Gibson-Spezifika des Baujahrs 1926 - 28. Bemerkenswerterweise weist diese Gitarre keinerlei Risse oder Reparaturen auf, und sie ist völlig original, incl. Hartschalenkoffer. Der Klang ist eigenwillig wie die ganze Gitarre: ich würde ihn als holzig, trocken, bluesig, mittenbetont bezeichnen... wie schon beschrieben: Diese frühe Gibson Nick-Lucas-Special befand sich noch im Entwicklungsstadium!
(siehe auch Artikel in ´Akustik-Gitarre` Nr. 2/2000)