KOCHENDORFER, Paul, Patent PARET
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Stuttgart, 1912
Meine Arbeits-Kollegin G.K.-J. hatte beneidenswerterweise einen Gitarre-begeisterten Großvater mit Namen Otto Paret aus Heutingsheim, der sich mit großem Engagement der mangelnden Bundreinheit von Gitarren widmete. Die ungewünschten Nebenwirkungen von feststehenden Bünden bei Gitarren, Lauten und verwandten Instrumenten entstehen, weil diese Kompromisse bei der Ton-Reinheit notwendig machen, wie auch das "wohltemperierte" Klavier. Dies ist ein grundlegender Unterschied zu den bundlosen (Streich-)Instrumenten, die das Spielen reiner Intervalle ermöglichen - aber eben auch unendlich viele falsche Zwischen-Töne! Deshalb ist vermutlich einst die Bundierung erfunden worden, zunächst mit geknüpften und verschiebbaren Bünden aus Darm, dann zunehmend mit fixierten Bünden aus Elfenbein, später Metall, was wesentlich länger hielt. Die beschriebenen Nachteile dieser Bauweise regt noch bis heute den Erfindergeist an! Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Otto Paret also eine Mechanik, die in drei Ebenen unter dem Griffbrett installiert wurde. Mittels dreier Schieber (einem pro Ebene) am oberem Griffbrett-Rand konnte der Spieler die parzellierten Bünde der Diskant-Saiten je nach Akkord bzw. Intervall gegenseitig um ein paar Millimeter, punktgenau berechnet, mittels der Mechanik verschieben. Diese Schieber waren während des Spielens entsprechend den jeweiligen Akkord-Wechseln zu bedienen (Das hört sich kompliziert an, und so ist es auch!). Dafür erhielt Herr Paret am 27. Nov. 1910 das Deutsche Reichspatent No. 235785. Die Patentschrift liegt mir vor (ausgegeben am 20. Juni 1911), samt Konstruktionszeichnungen sowie einer Beschreibung durch den Erfinder in den Mitteilungen der Gitarristischen Vereinigung e.V. "Der Gitarrenfreund" 12. Jahrgang 1911, Heft 3. Der Erteilung des Patents waren einige Schriftwechsel und Diskussionen vorausgegangen, denn O.Paret war nicht der erste gewesen, der eine mechanische Lösung dieses Problems ersonnen hatte. Doch seine Entwicklung überzeugte offensichtlich die Patent-Prüfer. – Der Instrumentenbauer Paul Kochendorfer in Stuttgart wurde 1912 mit dem Bau des vorliegenden Instruments (eine 10-saitige Gitarre, d.h. mit vier zusätzlichen, freischwingenden Baß-Saiten) beauftragt. Die patentierte Stell-Mechanik dürfte das Werk eines Uhrmachers oder Feinmechanikers sein, sie ist kompliziert und filligran aus Messing gefertigt. Die Gitarre selbst ist traditionell gebaut mit Fichtendecke und Korpus aus geflammtem Ahorn, und sie zeigt für das Baujahr geradezu altertümliche Details wie Holz-Wirbel und Elfenbein-Stäbchen-Bünde. Der Halswinkel ist mittels eines durch den Korpus gehenden Holz-Stabes stabilisiert. – Als ich dieses interessante Instrument erhielt, waren ein paar Trockenrisse zu richten, teilweise die Bundstäbchen und andre Kleinteile zu ersetzen, und nach einiger Feinarbeit funktioniert auch die komplizierte Schiebe-Mechanik wieder. Doch in ihrer Funktion kann sie nicht wirklich überzeugen. Kein Wunder, dass sie keine Nachahmer gefunden hat! – Meines Wissens wurden nur drei Instrumente mit dem Patent Paret gebaut: Ein Exemplar besitzt das Deutsche Museum in München, eins ist in Familienbesitz geblieben (eine Baß-Laute, die ich ebenfalls herrichten durfte; sie war allerdings bereits der patentierten Mechanik beraubt worden, vermutlich von einem verzweifelnden Nachkommen von Otto Paret, der einfach auf ihr spielen wollte...), und das dritte habe glücklicherweise ich bekommen! Diese Gitarre ist ein faszinierendes Beispiel der Experimentierfreude im Instrumentenbau um die 19./20. Jahrhundertwende. - Nachtrag: Bei einem Besuch des Musikinstrumenten-Museums in Berlin fand ich überraschenderweise noch eine Gitarre mit Patent Paret ausgestellt.