GIBSON L-5 · 1936

Orville GIBSON hatte 1894 in Kalamazoo begonnen, Mandolinen unterschiedlicher Größe zu bauen, wobei ihm das Konzept der Violine als Vorbild diente, die damals ja schon längst ausgereift war und sich bekanntlich durch Stabilität und große Klangstärke auszeichnet. Dabei spielt die gewölbeartige Ausarbeitung von Korpusdecke und –boden eine entscheidende Rolle. Diese Bauweise wollte O. Gibson zunächst auf Mandolinen, dann auch auf Gitarren übertragen. Sein einziges Patent (1898) bezieht sich allerdings auf die Fertigung von Zargen und Hals aus einem massiven Stück Holz, was sich gar nicht bewähren sollte, denn der Materialverbrauch ist dabei immens. 1902 kamen die ersten Archtop-Gitarren (d.h. mit auf Wölbung geschnitzter Fichten-Decke) auf den Markt, deren Boden und Zargen aus Walnuß, ab 1908 aus Birkenholz waren. Von Anfang an waren diese Instrumente für Stahlsaiten ausgelegt! Konkurrent C.F.MARTIN begann damit erst Mitte der 20-ger Jahre. Konsequent war O. GIBSON mit der Umsetzung der Violinen-Bauweise freilich nicht: Das Schalloch blieb wie bei Gitarren üblich rund oder oval, und die Brücke war bis 1908 noch auf die Decke geleimt. Da wurde dann die unterständige Saitenhalterung mit auf der Decke aufliegendem Steg eingeführt. 1919 wurde der damals berühmte Mandolinenspieler Lloyd Loar Mitarbeiter bei GIBSON und brachte nochmals entscheidende und konsequent dem Geigenbaumuster folgende Weiterentwicklungen: die schmalen, seitlichen f-Schallöcher und das über der Decke frei schwebende Griffbrett. Orville Gibson war da schon längst nicht mehr in der Firma. Außerdem wurde ab 1922 ein verstellbarer Stahlstab zur Verstärkung des Halses eingebaut. Damit wurden die Instrumente wesentlich schlanker, leichter, resonanzfreudiger und eleganter. 1922/23 wurde das GIBSON MASTER MODEL L-5 eingeführt, das im Prinzip bis heute gebaut wird. Die L-5 läutete eine neue Ära ein und gilt bis heute als der Inbegriff der Jazzgitarre (vgl. Artikel "Sammlerstück" in ´Akustik Gitarre` 3/03). – Lloyd Loar verließ GIBSON Ende 1924; die von ihm signierten Modelle sind heute von Liebhabern heiß begehrt und dementsprechend teuer. Allerdings war nicht alles toll, was er eingeführt hatte, z.B. den "Virzi Tone-Producer" zur Verstärkung des Klangs. Der wurde bald klanglos fallen gelassen. Ab 1925 wurde Ahorn statt Birke für den Korpus verbaut, mit der Zeit kamen reichere Verzierungen dazu (Griffbrett-Inlays, Randeinlagen, Saitenhalterung etc.), und ab 1934 wuchs der Korpus zum "Advanced" mit 17" Breite.

Genau so ein Exemplar ist die meine, und sie ist bis ins Detail original (nur ein winziges Teil des Schlagbretts wurde repariert), zeigt fast keine Spielspuren. Offensichtlich wurde sie immer sehr sorgfältig behandelt. Dazu zeigt das Ahornholz von Hals, Zargen und Boden eine bezaubernde Struktur; eine Schönheit! – Deshalb hat sie einen Ehrenplatz in meiner Sammlung von Flattop-Gitarren, denn was wäre GIBSON ohne seine Archtops?! Erst 1926 fing man dort mit dem Bau von Flattops an (und MARTIN dann 1931 mit Archtops…). Klanglich stellt diese L-5 genauso wie optisch im Vergleich zu meinen Flattops eine andre Welt dar: ziemlich trocken und mittenbetont, nur relativ kurz nachklingend, dezent und warm bei weichem Anschlag, bei stärkerem aber höchst dynamisch und perkussiv… Nach anfänglichem Fremdeln jagt sie mir jetzt Schauer über den Rücken!